Essay: Information überholt sich selbst.

These: Durch einen gegen das absolute Maximum konvergierendem Informations- und Verhaltensmusterspeicher über Mensch und Ding wird man in fernerer Zukunft noch kommende Ereignisse treffsicher voraussagen respektive sogar errechnen können.

Was ist Information? Information ist, dass „drei“ eine Zahl darstellt und „fünf“ eine. Information ist auch, dass beide addiert acht ergeben. – Obgleich man nur zwei bekannte Ausgangspunkte hat, kann man auf den dritten schliessen. Die Mündung von James Bonds Pistole zielt auf die Stirn sei-nes Kontrahenten. Wie wir diese Filme kennen, wird er diesen nun entweder abschiessen oder sich aber auf ein endloses Gespräch einlassen, was ihm dann zum Verhängnis werden wird. Wenn wir die ganze Handlung vor dieser Szene kennen, wissen wir ziemlich genau, was passieren wird. Er tötet seinen Gegenspieler: Nicht nur aufgrund der vorhergegangenen Handlung, auch das DVD-Gerät zeigt bereits 144 Minuten an, das Ende zeichnet sich ab. Auch hier haben wir das Phänomen, dass mithilfe zweier offensichtlichen Angaben, aus einer sozusagen im Äther bestehende Informati-on, eine mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zutreffende, handfeste konstruiert wird.

Wenn wir die Welt so betrachten, dann ist jedes Ereignis errechenbar. Alles, was geschehen kann und könnte, funktioniert in einem noch imaginären Zustand. Welcher das sein wird, kann man mit einer Wahrscheinlichkeit angeben; je mehr Grundvoraussetzungen gegeben sind, desto exakter der Output.

Der Gesamtuser, also alle Internetnutzer zusammen, bildet eine Masse von verschiedensten Persön-lichkeiten. So unterschiedlich nun jeder ist, so homogen wird der ganze Korpus daraus. Wissen-schaftliche Studien hielten fest, dass, je mehr Augen eine Information gesehen haben, desto präziser das Resultat wird. So können Datensätze mit einer enorm kleinen Abweichung von der effektiven Realität generiert und verwendet werden. Will auch heissen, dass man in einer noch ferneren Zukunft die Menschen noch besser durchleuchtet haben wird, noch mehr kontrollieren könnte. Über jeden ist absolut alles bekannt: Augenfarbe, Haarwachstumsgeschwindigkeit, politische Tendenzen, Immunsystem und Funktion der Gefühle. Aber es wird nicht nur jede Mücke darin registriert sein, sondern auch Verhaltensmuster der Menschen. Wenn Paulchen ein Eis kaufen geht, was tut Durchschnittsgesamtuserpaulchen als nächstes? Was ist Gesamtusers erste Assoziation zum Begriff „Präsident“ oder was ist das Lieblingsessen aller transsexuellen Katzen aus Finnland.

Dasselbe gilt für alle Dinge; schon heute gibt es praktisch kein Neuland mehr, es wurde einfach schon jeder Stein fünfundzwanzig Mal umgedreht. So wird man dann in ebenjener ferneren Zu-kunft das gesamte Wissen, jede nur erdenklich zugängliche Information, in einem „Computeroi-den“ abspeichern können. Man erreicht quasi die maximale Sättigung vom Speicher. Von nun an muss er nur noch immerzu auf dem aktuellsten Stand gehalten werden, um Lücken im System zu unterbinden.

Mit einem solchen Superrechner kann jetzt derjenige, der ihn bedient, so gut wie jedes Ereignis voraussagen. Als Beispiel könnte man die Präsidentschaftswahlen von Amerika angeben. Das Ein-fache Muster von Bush Senior, Republikaner, Clinton, Demokrat, Bush Junior, Republikaner, Oba-ma Demokrat, lässt sich schon eine Voraussage treffen, die sich mit einer einfach Strömung-Gegenströmung-These bestätigen lässt. Nun gab es aber auch oft zweimal eine republikanische oder demokratische Tendenz in Folge. Sofern der Speicher alle möglichen Kandidaten kennt, die Ideologie des Volkes, die momentanen Versprechen und Tumulte der Propagandisten und die Kookkurrenz verschiedener präsidenten-technisch theoretisch unvereinbaren Aufkommen, kann nun wie in einer simplen Rechnung der Nachfolger mit Name und Profil erstellt und prophezeit werden.

Ich sehe diese Idee als sehr wahrscheinlich an, da sie in einer nicht allzu pittoresken Landschaft von Zukunftsvisionen Hand in Hand mit einer Kontrollvollmacht einer Vereinigung geht. Meine Über-legung endet aber in einer Redundanz von Information: Gehen wir davon aus, dass wirklich jedes Ereignis durch die totale und absolute Transparenz eines jeden zielsicher menetekelt (wenns denn wirklich dystopisch ist), dann dürfte dieses Resultat ja auch niemand erfahren. Denn sobald das Wissen nicht mehr in seinem pursten und unverfälschtesten Zustand existiert, ist auch die Voraus-sage nicht mehr rein genug, d. h. die Wahrscheinlichkeit sinkt von einer nahezu gegen unendlich konvergierenden Eventualität in einen Zustand der Leere respektive des Kreisschlusses. Würde nämlich derjenige, der weiss, dass Paulchen am Eisstand in eine Laterne marschieren würde, eben-diesem das annoncieren würde, würde dann Paulchen nicht mehr Acht geben, dass ihm das nicht widerfährt? Wenn man diesen Gedanken skeptisch weiterverfolgt, würde man fragen, ob denn diese Möglichkeit vom Kalkulator nicht hätte berechnet werden müssen, dass der Eingeweihte Paulchen einen Tipp geben würde. Das hat er, unser Computer, aber er hätte ja dann errechnet, dass Paulchen nicht in die Laterne gehen würde, weil ihm das jemand sagen würde, was aber zur Folge hätte, dass er ja von ganz Anfang her gar nicht konstatiert hätte, dass er es tun würde, und so auch der Benutzer nicht auf die Idee gekommen wäre, es Paulchen zu melden. Voilà, wir haben einen Zirkelschluss.

Die Konklusion liegt eigentlich nahe, dass die Informationshandhabung und -verwendung stark in diese beschriebene Richtung tendieren wird. Wenn man nicht gar unkt (oder frohlockt, der Um-stand ist ja Ansichtsache, ob er sich positiv oder negativ auswirken wird), dann wird die Möglich-keit in die Zukunft zu blicken, nur sehr beschränkt möglich sein, als guter Vergleich möge vielleicht der Wetterbericht herhalten oder Modeprognosen. Jedoch sollte man sich in Acht nehmen, vor der totalen Ablegung aller Informationen bei einer einzigen Quelle, da diese dann einer zu grossen Versuchung ausgesetzt wäre, das Gesamte in einem negativ behafteten Rahmen ausnutzt.

In die Zukunft sehen kann durchaus nützlich sein und wenn es ganz ohne künstliche Intelligenz auch klappt, sondern nur mit „simplen“ Rechnungen, ist es sogar noch cool.

rate or hate, seriöser Text, gewagte These, die es zu vertreten galt, den Schiffen gefiels. Kein Smiley.

 

Ein Gedanke zu „Essay: Information überholt sich selbst.

  1. feha

    huhu,
    einerseits viel mir gleich folgender Comic ein:
    http://xkcd.com/795/
    andererseits musste ich auch daran denken, dass einst bereits schon die These aufgestellt ward (wie du sagtest, der fünfunfzwanzigmal herumgedrehte Stein ;P), dass das Wissen der Summe aller Fakten auch ein Fakt ist, der die Summe aller Fakten verändert. Wenn ich mich recht entsinne, stand das in face‘ Aufsatz über Glück, falls du dich daran erinnerst; wenn du ihn nicht mehr hast, melde dich, ich müsste ihn noch irgendwo auftreiben können.
    Einen ähnlichen Gedankengang wie den zuletztbeschriebenen gab es auch, so mich meine Erinnerung nicht trügt, irgendwo in der Pentalogie der „Per Anhalter durch die Galaxis“-Reihe.

    Hinzuzufügen ist nun noch, dass du, so scheint es mir, lauter wichtige, in meinen Augen schwierig zu sichernde, Variablen als gegeben ansiehst zur Berechnung. Um auf das Beispiel deines Bond-Films zurückzukommen: Nur, da es ein Hollywood-Film ist, der dem Klischee folgt, also schon bevor man den Film gesehen hat die Story in groben Zügen erahnen lässt, kannst du sicher sein, dass der Film nach 144 Minuten bald einen Antagonisten weniger haben wird.
    Jedoch scheinen mir solche, teilweise durchaus umfangreichen Informationen die schwierig zu beschaffenden weil komplexen zu sein, die für mich die These noch ein bisschen frühreif aussehen lassen.

    Abgesehen von diesen konkreten inhaltlichen Punkten finde ich es unschön, dieses Thema so pessimistisch und dystopisch anzusprechen. Irgendeine Art von Appell und einen Hoffnungsschimmer aufzuzeigen, hätten mich gefreut, um die Moral zu stärken.

    Jedoch möchte ich den Schreibstil loben; ich fand ihn nach einem anstrengenden Tag mich leicht überfordernd und daher sehr angenehm.

    aufrichtig,
    feha

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